
Warum die Oscars dieses Jahr ohne mich stattfinden
Seit ich denken kann, sind die Oscars ein fester Bestandteil meines Filmjahres. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich als Kind bei Babysittern manchmal länger wachbleiben durfte, um ein paar Teile der Verleihung mit anzusehen. Danach gab es Watch-Partys mit Schulfreunden, später mit Freunden im Studium, dann Tippspiele im Büro. Da soll noch einer sagen, Filmnerd sein wäre nicht lukrativ: Einmal war das Preisgeld im Büro im dreistelligen Bereich.
2020 bleibt der Fernsehr aus
Auch dieses Jahr hab ich die Frage gestellt bekommen: „Und? Dieses Jahr wieder Oscars?“ Meine Kollegen haben sich gewundert, warum ich mir noch nicht frei genommen habe. Immerhin war der Montag nach der Oscarverleihung schon immer ein Fixpunkt im Urlaubskalender. Dieses Jahr war meine Antwort anders: „Lohnt sich nicht. Hab kaum einen Film gesehen und überhaupt. Das geht mir viel zu lang.“ Was wahr ist. Und trotzdem alles.
Die Oscars bleiben gleich. Ich nicht.
Das mit den Filmen stimmt schon. 2019 habe ich so wenige Filme gesehen wie lang nicht mehr. Zum einen, weil mich wenig wirklich interessiert hat, zum anderen, weil ich mehr lesen wollte. Hat auch gut geklappt. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, dann ist die Oscar-Verleihung selbst Schuld daran, dass ich dieses Jahr raus aus der Nummer bin.
Denn wieder ist ein Jahr vergangen und wenig hat sich geändert. Zwar hat niemand die Kampagne #oscarssowhite wieder zum Leben erweckt, angebracht wäre sie allemal. Wieder keine weiblichen Regisseure, die nominiert wurden. Wieder nur die üblichen Verdächtigen in den großen Kategorien. Weil’s letztes Jahr ganz ok war, gibt’s auch diesmal wieder keinen Host. Alles safe, kein Riskio, bloß keine Veränderung.
Tradition: ja, Veränderung: nein.
Klar, Oscars schauen ist Tradition. Das ich mittlerweile einen pre-Oscars Power Nap machen muss, geschenkt. Das aus mir unerfindlichen Gründen immer noch Steven Gätjen auf den roten Teppich darf, whatever. Ein Reiz der Oscars ist, dass sie immer schon sperrig, ein bisschen staubig und zu selbst-verliebt waren.
Das Problem ist: Ich hab mich verändert. Früher wollte ich meine Lieblingsschauspieler sehen, danach gab es neben dem Gewinner-Tipp-Bingo ein Oscars-Bingo. (Immer mit drauf auf dem Tippzettel das Feld: Nahaufnahme von Harvey Weinstein. Ugh.) Ja, es ging immer darum zu raten, was würde diese ominös, anonyme Gruppe von Oscar-Abstimmern diesmal aussuchen. Nicht: Was war ein guter Film in diesem Jahr.
Immer die sichere Wahl
Vielleicht hat’s mir auch der letztjährige Gewinner Green Book verhagelt. Von allen nominierten Filmen die sicherste Wahl. Und halt einfach kein guter Film, wenn man nett ist; 2 Stunden 10 Minuten voller semi-rassistischer Klischees, die nie inhaltlich auf den Titel einzahlen, wenn man ehrlich ist.
Und ja, seit Jahren wird darüber diskutiert, dass die Filme die nicht nominiert sind, die wirklich Guten sind. Die, die das Genre voranbrignen. Aber lohnt es sich dann überhaupt noch eine überlange Ansammlung von sicheren Entscheidungen anzusehen?
Nö!
Und deshalb mache ich mir heute keine Sorgen darüber, wie ich den doofen ProSieben-Stream auf meinen TV bekomme. Klar, Tippspiel mach ich trotzdem (ein bisschen Tradition muss sein). Dafür krieg ich genug Schlaf und schau mir morgen in Ruhe die Highlights auf YouTube an. So ganz sich selbst, kann ich die Oscars dann doch nicht überlassen.
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