
«Vicky Cristina Barcelona» – Einmal Woody Allen ohne alles, bitte!
Die Szene: Auf dem Küchenboden haben ein Mann und eine Frau hingebungsvoll Sex. Auf dem Herd kocht derweil, ganz sinnbildlich, ein Topf Milch über.
Der plumpe, visuelle Vergleich von schäumender Flüssigkeit und überfließenden Gefühlen ist nur einer von vielen in Woody Allens alljährlichem Filmbeitrag, der dieses Jahr Vicky Cristina Barcelona heißt.
Die Story ist schnell erzählt. Studentinnen Vicky und Cristina machen Urlaub in Barcelona und werden dort vom arrogant direkten Juan Antonio aufgegabelt, der ihnen einen Kulturtrip nach Oviedo und anschließend Sex vorschlägt. Cristina lässt sich darauf ein, Vicky später auch, dann taucht schließlich noch Maria Elena, Juans Ex-Frau, auf und stiftet Unruhe.
Bevor der Zuschauer sich selbst jedoch eine Meinung bilden kann, wird ihm vom altklugen Off-Erzähler vorgegeben, wer die Protagonisten sind. Vicky ist konservativ verklemmt, Cristina abenteuerlustig und freizügig. Juan Antonio dagegen ist nur auf Sex aus und Maria Elena gibt die Durchgeknallte. Zugegebenermaßen muss man über die Charaktere dann eigentlich auch nicht mehr wissen, denn keiner von ihnen wird sich im Lauf des Films von dem ihm aufgezwungenen Rollenklischee befreien. Im Gegenteil.
Die Handlung schleppt sich dahin und der Großteil des Dialogs scheint darin zu bestehen, dass die Charaktere sich gegenseitig ihrer Zweidimensionalität versichern. Der Film ist dann höchstens noch an den Sexszenen interessiert, Entwicklung eines Spannungsbogens oder plausiblen Plots wird Nebensache. So findet sich eine lesbische Szene zwischen Cristina und Maria Elena, die direkt aus einem seichten Erotikfilm zu kommen scheint, vom wenig originellen Kommentar des Erzählers bis zur schmerzhaft gestellten Schulterberührung mit anschließendem Kuss.
Wenn Cristina schließlich in einem Straßencafé Vicky und ihrem Verlobten stolz erzählt, dass sie mit Maria Elena und anschließend mit Juan Antonio geschlafen hat, und dabei immer wieder ihre emotionale Ungebundenheit versichert, fragt man sich ernsthaft ob hier nicht die Altmännerfantasie mit einem sichtlich von Filmqualität gelangweilten Woody Allen durchgegangen ist.
Von Woody Allen, oder vielmehr dem wofür er steht, ist nämlich in Vicky Cristina Barcelona nichts mehr zu spüren. New York als Reflektionsort verschrobener Charaktere wird durch ein warm-weich gefilmtes und unauffälliges Barcelona ersetzt, dass so vehement als eigene Persönlichkeit in Szene gesetzt wird, dass der Zuschauer gleich mehrmals das „Barcelona“ titulierte Hintergrundlied aufgezwungen bekommt. Neurotisch ist in diesem Film sowieso niemand, auch wenn Vicky gleich zu Anfang Cristina so bezeichnet. Es bleibt doch nur ein schwacher Versuch das Allen’sche Markenzeichen zu etablieren, ein Wink mit dem Zaunpfahl.
Die Filmkunst versinkt in derselben Mittelmäßigkeit wie die Handlung. Schnitte werden wahllos gesetzt und in einer vom Film komplett losgelösten Szene schwelgt die Kamera plötzlich in einer Slow-Motion Einstellung von Juan Antonio und Vicky, die so fehl am Platz wirkt, dass man sich fragt ob jemand aus Versehen die Kamera verstellt hat. Durchzogen ist der Film auch von unendlichen Nahaufnahmen vom Gesicht der Johansson, die ausdruckslos in die Kamera blinzelt und sich durchs blond-gefärbte Haar fährt, statt zu schauspielen. Eine echte Muse eben.
Fast scheint es als hätten sich hier ein Starregisseur und seine Star-Riege zusammengefunden um sich einfach mal auf ihrem guten Ruf auszuruhen. Keiner scheint wirklich am Film interessiert zu sein, die Darsteller verlassen sich darauf, dass Woody Allens Filme heute bereits als Arthouse Klassiker bezeichnet werden, bevor sie überhaupt jemand gesehen hat. Allen auf der anderen Seite baut auf seine Stars: Scarlett Johanssen, die trotz schauspielerischer Null-Leistung immer noch Publikumsmagnet ist, und die neuen Lieblings-Spanier des Films Javier Bardem und Penelope Cruz.
Das Ergebnis ist mehr als enttäuschend und man fühlt sich versucht seine DVD von Annie Hall aus dem Regal zu holen, um sehnsüchtig in die Zeit zurückzukehren als Woody Allens Neurotiker noch wirklich neurotisch waren und nicht frei von Sinn und Zweck durch eine Stadtkulisse auf der Suche nach der nächsten sexuellen Begegnung irrten.
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