#rezension

«Tannöd» – Den Wald vor lauter Bäumen

Ein bisschen Ähnlichkeit mit Rotkäppchen hat die junge Frau im roten Mantel schon, die da aus einem Bus aussteigt und Fuß setzt in das Dorf ihrer Kindheit. Kathrin heißt sie und das Dorf ist jenes, in dem vor zwei Jahren eine ganze Familie brutal in ihrem einsamen Bauernhaus umgebracht wurde. Nach einem kurzen Blick in die Runde verschwindet Kathrin im Wald, in einer undurchdringlichen Wand aus dunklem, erhabenem Grün.

Es ist dieser Wald der Tannöd zusammenhält, die Verfilmung des gleichnamigen Ausnahmekrimis. Mal besteht er aus leise tosenden Baumwipfeln, mal ist er stumm und unheilverkündend. Wie ein dunkelgrünes Loch schluckt er die Menschen, die hier leben und entlässt sie nur widerwillig zurück in ihr Dorf. Eigentlich ist dieser Wald der heimliche Hauptdarsteller in diesem Film. Unscheinbar sieht er aus, gewöhnlich, und doch in langen unbewegten Einstellungen ist da eine beklemmende Bedrohung, die von ihm ausgeht.

Jene Beklemmung, eine Mischung aus der kleinbürgerlichem Enge der 50er Jahre und dem beharrlichen Schweigen über eine schreckliche Tat, ist es auch, die Andrea Maria Schenkels Roman so spannend macht. Die Filmversion mag dies nur bedingt zu vermitteln, sucht sie doch den Spagat zwischen Werktreue und in sich geschlossenem Kriminalfilm. Und scheitert. Denn trotz der blutigen Szenen zu Beginn, die Magd unter deren Kopf sich langsam eine Lache Blut ausbreitet, die ermordeten Frauen im Stroh, wirkt dieser Film seltsam blutleer.

So legt auch Kathrin schnell ihren leuchtend roten Mantel ab und fügt sich in das farblose Dorfleben ein. Das hier ein Charakter eigens für den Film eingeführt wurde, der nicht nur dem im Buch gesichtslosen Erzähler eine Form gibt, sondern ihn auch noch unmittelbar mit dem Geschehenen verbindet, schadet dem Film mehr als dass er ihn enger zusammenbindet. Denn was den Roman so gut macht, ist die lose Zusammenführung einzelner Geschichten, die zusammen das Bild von einem Dorf zeichnen, in dem schon vieles schief ging, lange bevor die grausamen Morde geschehen.

Auch Julia Jentschs Kathrin kann daher nie mehr als ein stummer Zuhörer sein, dem sich die Dorfbewohner fast begierig anvertrauen, einer nach dem anderen. Man mag sich nicht so recht interessieren für diese widerwillige Protagonistin, die dem Film ebenfalls gleichgültig zu sein scheint. Vielmehr geht der starke Einstieg von einer grausamen Tat über in eine Darstellung, die sich anschickt ein Sittengemälde zu sein, aber an ihrer eigenen zweidimensionalen Darstellung der einzelnen Dorfbewohner scheitert. Vom strengen Pastor zur verschrobenen Schwester der toten Magd, sind sie alle doch nur blasse Abziehbilder, fern von echten Charakteren. Das diese fragmentarische Darstellung von Abgründen in der kleinen Dorfgesellschaft auch besser darstellbar ist, hat Hanekes Das weiße Band zuletzt eindrucksvoll gezeigt.

Letztlich versagt Tannöd genau da, wo auch die meisten anderen Literaturverfilmungen scheitern: Am eigenen Anspruch. Denn die kühle, fast emotionslose Darstellung der einzelnen Perspektiven, die das Buch zu einem tiefgründigen Mosaik aus menschlichen Facetten gemacht hat, fehlt diesem Film. Er versucht Emotionalität zu kreieren und verliert damit die Grundstimmung der Vorlage aus den Augen.

Und so sind es letzten Endes die stillen Einstellungen, die durch den Film verstreut sind, die ihm die nötige Tiefe geben, ein kleines Aufblitzen von dem was Tannöd hätte sein können. Es sind lange Einstellungen auf das Danner Haus, die mit jedem Stückchen Information über diese zerrüttete Familie mehr zu sagen scheinen. Es sind auch die leisen Momente, wenn die Kamera ein bisschen länger als eigentlich nötig auf ein Gesicht hält und man fast glaubt endlich eine Erklärung für alles zu finden, was hier vor sich geht.

Doch genau wie Kathrin ihren roten Mantel fasst und aus diesem beengenden Dorf in den Wald verschwinden, ebenso schwenkt die Kamera weg, bevor man mehr erfahren könnte. Gerade deshalb bleibt der Film nur ein lebloses Abbild eines starken Kriminalromans mit dem Anspruch anders zu sein.

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